Essen mit den Fingern: Das zumindest
in der westlichen Hemisphäre bisher ausschließlich Kindern
vorbehaltene Essvergnügen ist selbst in feiner Gesellschaft eine
trendige Angelegenheit.
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Käsewürfel
mit einer Weintraube oder Schinken gefüllt mit Dosenspargel
vor nicht all zu langer Zeit galten Mamas Party-Spezialitäten
unter trendbewussten Mitmenschen noch als Ausbund der
Spiessigkeit. Das hat sich inzwischen geändert. Fingerfood ist
wieder angesagt. Allerdings sind die Rezepte um einiges
kreativer und internationaler geworden. Was für Kinder und
andere Kulturen selbstverständlich ist, trauen sich hierzulande
nun auch die Erwachsenen. Entgegen aller Etikette, heißt es, weg
mit dem Besteck. Ein sinnliches Vergnügen, das neben dem
Geschmacks- und Geruchssinn auch das Tasterlebnis in ganz neue
Welten entführt. Mit der Zauberformel "Eat and Meet" entwickelt
sich Fingerfood immer mehr zum Party-Renner. Ob Familienfete,
Vernissage oder Betriebsfeier das Kult-Food versetzt selbst
Mauerblümchen und Mundfaule in Plauderlaune. Statt sich wie
sonst mit dem Teller auf den Knien allein in eine Ecke zu
verdrücken oder sich bei fester Tischordnung mit langweiligen
Sitznachbarn anzuöden bei einer Fingerfood-Feier läuft alles
viel zwangloser ab.
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Man trifft sich in entspannter
Atmosphäre am Buffet, in der einen Hand einen Drink in der
anderen einen kleinen Leckerbissen. Kontakte knüpfen leicht
gemacht, denn das Gesprächsthema liegt sozusagen auf der Hand:
"Diese köstlichen Tortilla-Ecken müssen Sie unbedingt
probieren." Und schon ist der Anfang gemacht. Mit Zufriedenheit
stellen die Veranstalter fest, dass sich die Gäste viel besser
mischen. Das ganze Event wird durch die Beweglichkeit des
Publikums belebter und intensiver. Das Buffet avanciert zum
Treffpunkt, bei dem gutes Essen die Stimmung hebt. Denn was das
kulinarische Vergnügen angeht, bieten die Miniformate
unbestreitbare Vorteile. Die Neugierde und Abenteuerlust etwas
Neues auszuprobieren, nimmt zu, wenn sich das Unbekannte mit ein
bis zwei Bissen verspeisen lässt. Darüber hinaus können die
Eingeladenen mehr verschiedene Gerichte probieren, als bei einer
festen Speisefolge oder großen Portionen. Mehr Vielfalt entpuppt
sich so als gesteigertes kulinarisches Erlebnis.
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Was macht den Verzehr dieser
Mini-Speisen so attraktiv? Genau zu lokalisieren sind die
Ursprünge des modernen Finger Food nicht. Fest steht, dass die
Küchen, deutsche wie europäische, immer internationaler werden.
So ist es kein Wunder, dass die Rezepte für die schmackhaften
kleinen Happen aus allen Kontinenten stammen.
Tex-Mex und Asia-Food
Spare rips und Chickenwings, Tortillas und Quesadas sind
typische Gerichte der texanisch-mexikanischen Küche und können
als Vorreiter der gerade angesagten Life-Style-Küche gelten. Wer
je Chickenwings probiert hat, wird die Versuchung kennen, die in
einem Knusperteig frittierten Fleischstücke nicht mit Messer und
Gabel, sondern direkt mit den Händen zu essen. Ähnlich verhält
es sich bei Sushi. Der mit Essig gewürzte und mit rohem Fisch
oder Gemüse belegte Reis animiert dazu, ihn von der Hand in den
Mund zu schieben, ohne Stäbchen. Sushi, Sashimi oder Dim Suns
gibt es in Europa seit vielen Jahren, mit stark wachsender
Nachfrage. Beide, Tex-Mex wie Sushi und seine Verwandten, sind
Vorboten der heutigen Finger-Food-Euphorie.
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Ethno Food
Ethno Food ist eine weitere Bezeichnung für die vielfältigen
Appetizer. Vielleicht ist dieser Name gar treffender, werden die
Speisen doch nicht in einer reinen Lehre zubereitet, sondern
vielmehr als bunte Mixtur vieler ethnischer
Geschmacks-strömungen. Das Ergebnis, das immer häufiger auf den
silbernen Tabletts eines Buffets zu bestaunen ist: eine
Cross-Over-Küche, die für jeden Geschmack etwas bereit hält. So
stehen mit Basmati-Reis, Joghurt und Datteln gefüllte
Teig-Schiffchen neben feurigen Tacos aus Endivienblättern und
Radicchio, mit Knoblauchcreme bestrichene Muschelhälften reizen
ebenso den Gaumen wie in Limettensaft getränkte und in Öl
gebratene Garnelen-Spieße. Die Vielfalt an Finger-Food-Rezepten
ist jedenfalls riesengroß, der Phantasie sind keine Grenzen
gesetzt.
Von vielen
Konservativen wird Finger Food als Verfall der Esskultur
beklagt. Historisch gesehen ist selten mit Messer und Gabel
gegessen worden und ohnehin nur in einem Teil der Welt. In
vielen Kulturen wird seit jeher mit den Händen gegessen. Mehr
als doppelt soviel essen mit Stäbchen statt mit Messer und
Gabel. Messer, Gabel und Löffel sind ursprünglich
Küchenwerkzeuge gewesen, mit denen man Speisen zubereitetet und
serviert hat. Messer wurden dann im Laufe der Zeit auch zu Tisch
benutzt, Speisen zu zerteilen, die man anschließend mit den
Fingern aß. Messer und Gabel sind dabei persönlicher Besitz
gewesen; man brachte sie zum Essen mit, so ähnlich wie es heute
noch Soldaten im Kampfeinsatz machen. Die Gabel wurde erstmals
Anfang des letzten Jahrtausends urkundlich erwähnt und setzte
sich erst im 18. Jahrhundert durch, etwa zeitgleich mit der
Etablierung von Restaurants und der bourgoisen Lebensweise.
Fingerfood
ist auch ein geeignetes Aktionsfeld ambitionierter Profiköche.
Tapas, Tacos, Antipasti oder Horsduvres haben in anderen
Länderküchen schon eine lange handgreifliche Tradition. Mit
ein wenig Übung lassen sich solche und andere exotische
Fingerfood-Spezialitäten auch in der heimischen Küche
zubereiten.
Dos & Don'ts
Auf dem Mozzarellahäppchen thront eine Cocktailtomate, knallrot,
saftig und so glitschig, dass sie sich bei der ersten Berührung
in Bewegung setzen wird. Mit Glück landet sie im Mund.
Wahrscheinlich aber auf einem weissen Seidentop. Mit Fingerfood
haben die avantgardistisch aufgetürmten Kunstwerke, die Kellner
auf Empfängen durch den Raum jonglieren, nichts mehr zu tun. Zur
Erinnerung: Fingerfood, diese handlichen Häppchen, die man
elegant im Vorbeigehen verputzen kann, wurde erfunden, um uns
das Leben leichter zu machen. Stattdessen werden uns heute
Suppen serviert, die man im Stehen löffeln muss. Und man reicht
uns fragil konstruierte "Etagenbrötchen", die zerbröseln, sobald
man versucht, von ihnen abzubeissen. Deshalb die Bitte an alle
Caterer: Mässigen Sie Ihre Kreativität! Und denken Sie an den
Gast. Denn der isst nicht mit den Augen. Sondern mit den
Fingern.
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Ein paar
nützliche Tipps können Ihnen dabei helfen, dass aus dem Event
auch bestimmt ein unvergessliches Erlebnis wird.
Fingerfood -
Regeln für den Gast
Tragen Sie keine
Schuhe mit mehr als 6cm Absatzhöhe (Sie essen im Stehen) oder
aus hellem Velours (Rotwein kriegt man nie mehr raus).
Verzichten Sie auf Shopper und Clutchbags, Sie brauchen Ihre
Hände zum Essen.
Häppchen helfen
nicht gegen Heisshunger. Essen Sie deshalb zu Hause schon eine
Kleinigkeit.
Figurbewusste
Gäste nehmen sich zu jeder Miniportion eine Serviette und
sammeln sie. So bewahren Sie den Überblick darüber, wie viel Sie
gegessen haben.
Keine Schnittchen
mit viel Dekor (fällt herunter) oder viel Auflage. Parmaschinken
und Lachs rutschen samt Deko vom Brötchen. Ungefährlich: Käse,
Kaviar oder Foie gras.
Heringspuren auf
dem Seidenschal? Ignorieren Sie den Unfall, dann fällt's auch
den anderen nicht auf.
Fingerfood -
Regeln für den Gastgeber
Auch wenn Sie
sonst mit ganz wenigen Möbeln leben: Stellen Sie für Ihre Party
Stehtische auf. Die Gäste werden es Ihnen danken.
Wenn Sie Suppe
anbieten, reichen Sie sie in kleinen Tässchen (am besten mit
Henkel). Dann können die Gäste sie trinken. Das macht Löffel
überflüssig.
Richte Sie das
Fingerfood auf einem Buffet an. Die Gäste holen sich die
Häppchen selbst und werden nicht mit Nachschub überfordert,
während sie gerade mit Zigarette, Feuerzeug oder Glas hantieren.
Servicekräfte servieren nur die Drinks.
Soforthilfe gegen
Flecken: Deponieren Sie im Bad an einer gut sichtbaren Stelle
ein Stück Gallseife.
Bitte keine
Experimente: Niemand will seine Suppe aus einer Kinderspritze
nuckeln (ist leider alles schon mal vorgekommen).
Tipp:
Ob daheim
zubereitet, am Imbiss gekauft oder im Szene-Restaurant bestellt:
Wie gut oder schlecht Fingerfood schmeckt und aus
ernährungsphysiologischer Sicht zu beurteilen ist, hängt von den
jeweils verwendeten Zutaten und der Zubereitungsweise ab. Bei
erlesenen Zutaten und ausgefallenen Kompositionen kann der
Aufwand für ein Fingerfood-Menü in punkto Zeit und Geld leicht
den einer herkömmlichen Mahlzeit überschreiten.
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