Wie die Tiroler in Galtür im Paznaun aus dem wild
wachsenden Enzian einen würzig herben Edeltropfen destillieren.
Schnaps ist Schnaps. Aber das ist Unsinn. Der „Enzner“,
der Enzian-Schnaps aus Galtür, brennt scharf am Gaumen und in den Maultaschen
und ist doch weit mehr als nur ein „a Brennter“ zwischendurch, weil rar, bitter
im Geschmack und sauteuer. Sonst würde um das ungepanschte Original im Tiroler
Bergdorf, das 1999 durch ein schweres Lawinenunglück mit vielen Opfern in die
Schlagzeilen kam, nicht so viel Aufhebens gemacht: Aber weil die – vor allem in
flüssiger und hochprozentiger Form – sehr begehrte Alpenpflanze unter
Naturschutz steht, werden jedes Jahr am ersten Septembersonntag in der
Paznauntaler Gemeinde zum Kirchtag neue Lizenzen zum „Enzian-Graben“ verlost.
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Dass der geschützte blaue Enzian als Emblem so
manche Flasche im Verkauf ziert, ist irreführend. Denn just der blaue Enzian hat
gar keine so weit verzweigte Pfahlwurzel, wie sie sich beim gefleckten, gelben
oder roten Artgenossen bis zu einem Meter lang in den Boden krallt. Die
Enzianwurzel ist schon seit Jahrhunderten bekannt und ist sogar in der
medizinischen Arzneitaxe angeführt als Radix Genziane. Ob magenanregend auch
-beruhigend, beide Wirkungen werden der Enzianwurzel zugeschrieben.
Erstmals wurden die Grabrechte in einem Vertrag
im Jahr 1705 für die Alpe Schiffanella schriftlich festgehalten. Als die
Pflanze in den Sechzigerjahren unter Naturschutz gestellt wurde, handelten sich
die Galtürer ein Privileg aus. Maximal 1300 Kilo dürfen pro Jahr "geerntet"
werden, und um diese Quote gerecht zu verteilen, tüftelte die Paznauntaler
Gemeinde ein besonderes Verfahren aus. Jeder Galtürer Haushalt darf sich an
einer Verlosung beteiligen, bei der 13 Treffer gezogen werden, die zum Ausgraben
von je hundert Kilogramm Enzianwurzeln berechtigen. Die glücklichen Gewinner
bleiben in den darauf folgenden drei Jahren von der Verlosung ausgeschlossen.
Der Enzian besticht durch seine seltene Farbe. Schon Heino hat gewusst, was
den Enzian so unwiderstehlich macht: seine sagenhafte Farbe. Das reine Blau der
Blüten vieler Enzianarten ist im Pflanzenreich nämlich äußerst selten
anzutreffen. Weit weniger bekannt ist deshalb vermutlich, dass es auch gelben
Enzian gibt.
Die typische Höhenpflanze wächst in steinigen
Lagen zwischen 1.500 bis 2.500 Metern Seehöhe. In Tirol ist hauptsächlich der
"Punktierte Enzian" verbreitet. Der hochstängelige Enzian trägt meist fünf bis
sechs Blüten und kommt vor allem im kristallinen Hochgebirge vor. Auf
kalkhaltigen Böden steht auch der Gelbe Enzian. Seltener anzutreffen sind in
Tirol Roter und Brauner Enzian. Nicht nur in der Farbe, auch im Aroma orten die
Geschmackspapiellen Unterschiede. So hat der Schnaps aus den Wurzeln des
Punktierten Enzians eine erdige Note. Mild und blumig schmeckt hingegen der des
Braunen Enzians.
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Acht Jahre dauert es, bis sich der Enzian von der
Samenkeimung bis zur ersten Blüte entwickelt. Und zur Ernte sind nur blühende
Stöcke freigegeben. Das Ausgraben der Enzianwurzeln von Anfang Oktober
bis zum ersten Schneefall ist harte Arbeit, zu der Familienmitglieder, Verwandte
und Freunde, mit Pickeln bewaffnet, ins Jam-, Larein- und Vermunttal ziehen. Die
Ernte wird gehäckselt und eingemaischt: 100 Kilogramm Wurzeln ergeben 200 Liter
Maische, aus der in zwei Brennvorgängen etwa sieben Liter Enzianschnaps gewonnen
werden.
Für den Liter vom echten Galtürer "Enzner" wären
bis zu 200 Euro zu erzielen, aber er gelangt so gut wie nie in den Verkauf. Vom
Schnaps, den die Einheimischen wie einen Schatz hüten, wird nur zu besonderen
Anlässen guten Freunden ein Stamperl angeboten und dann mit viel Ehrfurcht und
in kleinen Schlucken genossen.
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